Nachhaltige Geldanlage ist im Mainstream angekommen. Das ist grundsätzlich gut. Es hat jedoch eine Nebenwirkung, über die man offen sprechen muss: Je größer der Markt, desto lauter das Marketing. Und je lauter das Marketing, desto größer die Gefahr, dass Anleger am Ende vor allem eines kaufen: ein gutes Gefühl. Nicht unbedingt ein gutes Produkt.
Wenn auf einem Fonds oder ETF nachhaltig, ESG, SRI oder grün steht, ist das kein Beweis, sondern eine Behauptung. Die entscheidende Frage lautet nicht: Klingt das Produkt nachhaltig? Sondern: Welche Regeln gelten konkret, was passiert in Grenzfällen und was liegt tatsächlich im Portfolio?
Dieser Beitrag trennt sauber zwischen zwei Welten, die in der Praxis ständig vermischt werden: Negatives vermeiden und Positives fördern. Dazu kommt als dritter Weg die Transition: der Umbau bestehender Geschäftsmodelle. Wer diese Unterschiede nicht sauber versteht, wird zwangsläufig falsch investieren. Oder anders gesagt: Man kann sich sehr nachhaltig fühlen und gleichzeitig ziemlich konventionell anlegen.
1. Drei Nachhaltigkeiten, die gerne so tun, als wären sie eine
Bevor Sie über Produkte sprechen, müssen Sie über Logik sprechen. Denn unter dem Etikett nachhaltig werden drei völlig unterschiedliche Zielsysteme verkauft.
1.1 Werteorientierung
Hier geht es um No Go Regeln. Sie wollen bestimmte Branchen oder Praktiken nicht im Portfolio haben. Punkt. Das ist legitim. Es ist nur eben keine Wirkungsstrategie, sondern eine Vermeidungsstrategie.
1.2 ESG als Risikomanagement
Hier wird Nachhaltigkeit als zusätzlicher Blick auf Unternehmensqualität und Risiken genutzt. Das kann sinnvoll sein, weil schlechte Governance, Lieferkettenchaos oder Klimarisiken reale finanzielle Folgen haben. Nur sollte man es nicht als moralische Hochleistung verkaufen. ESG Integration ist häufig: besseres Risikomanagement, nicht automatisch bessere Welt.
1.3 Wirkung und Beitrag
Hier soll Kapital messbar zu Umwelt und Sozialzielen beitragen. Das klingt am attraktivsten, ist aber am anspruchsvollsten. Wirkung muss definiert, gemessen und berichtet werden. Wer Impact erwartet und ein beliebiges ESG Produkt kauft, wird enttäuscht. Wer Impact verspricht und nur oberflächlich filtert, betreibt Etikettenschwindel.
Merksatz: Sie bekommen nur das, was Sie ausdrücklich definieren. Alles andere ist Hoffnung als Anlagestrategie.
2. Negatives vermeiden versus Positives fördern: Der Unterschied, der alles entscheidet
2.1 Negatives vermeiden
Die Leitfrage lautet: Was darf nicht im Portfolio vorkommen?
Typische Ausschlüsse sind:
• Kontroverse Waffen und schwere Menschenrechtsverstöße
• Tabak
• Kohle und besonders klimaschädliche Fördermethoden
• schwere Korruption und systematische Governance Probleme
• gravierende Umweltverstöße
• Verstöße gegen internationale Normen wie UN Global Compact oder OECD Leitsätze
Das ist gut umsetzbar, oft auch kostengünstig über ETFs. Aber lassen Sie sich bitte nichts vormachen: Vermeidung ist nicht Förderung. Sie reduzieren potenziellen Schaden, Sie finanzieren dadurch aber nicht automatisch Lösungen.
2.2 Positives fördern
Die Leitfrage lautet: Wofür soll Ihr Geld arbeiten?
Typische Förderthemen:
• Energiewende, Netze, Speicher, Energieeffizienz
• Wasser und Infrastruktur
• Kreislaufwirtschaft, Recycling, Ressourceneffizienz
• Biodiversität und nachhaltige Landnutzung
• Bildung, Gesundheit, bezahlbarer Wohnraum
Hier beginnt die echte Arbeit. Denn diese Strategien bringen Nebenwirkungen mit:
• höhere Volatilität
• Klumpenrisiken
• Abhängigkeit von Politik und Regulierung
• Bewertungsblasen in Boomphasen
Wer das verschweigt, verkauft nicht Nachhaltigkeit, sondern eine Story.
2.3 Transition: Der Umbau ist nicht hübsch, aber oft notwendig
Es gibt einen doppelten Denkfehler im Markt: Entweder man verlangt Reinheit und blendet aus, dass die großen Emittenten transformieren müssen. Oder man behauptet Transition und liefert am Ende nur ein normales Portfolio mit grünem Anstrich.
Transition kann sinnvoll sein, wenn drei Bedingungen erfüllt sind:
• klare Transformationsstrategie und Investitionspläne
• transparente Ziele und messbarer Fortschritt
• aktives Engagement mit Stimmrechtsausübung und Eskalationslogik
Alles andere ist: Wir halten es, weil es im Index ist, und nennen es Transformation.
3. Die Strategien im Markt: Was sie leisten und wo sie gern täuschen
Nachhaltige Strategien sind kein Geheimwissen. Entscheidend ist, ob Anbieter sie sauber umsetzen oder nur behaupten.
3.1 Ausschlüsse
Stark für Werteorientierung. Schwach, wenn Schwellen weich sind. Wenn Kohle erst ab hohen Umsatzanteilen ausgeschlossen wird, bleibt Kohle im Portfolio. Nur eben versteckt.
3.2 Normbasiertes Screening
Solide Mindeststandards, aber oft reaktiv. Es greift, wenn ein Skandal schon öffentlich ist.
3.3 Best in Class
Konzeptionell sauber, weil es innerhalb einer Branche die besseren Akteure bevorzugt. Gleichzeitig moralisch für manche Anleger unpassend, weil auch problematische Branchen vorkommen können. Wer Best in Class kauft und erwartet, dass alles rein ist, hat das Prinzip nicht verstanden.
3.4 ESG Integration
Oft vernünftiges Risikomanagement. Aber als Anleger sollten Sie wissen: Das Ergebnis kann sehr nah am Standardmarkt bleiben. ESG Integration ist häufig “weniger schlecht”, nicht “grundsätzlich anders”.
3.5 Themenfonds und Lösungen
Das ist Förderung. Gleichzeitig ist es oft ein konzentriertes Wagnis. Clean Energy klingt großartig, kann aber in der Praxis ein sehr enges, politisch getriebenes Segment sein.
3.6 Engagement und Stewardship
Das ist die Königsdisziplin, wenn es ernst gemeint ist. Aber auch die bequemste Ausrede, wenn es nicht ernst gemeint ist. Ohne Abstimmungsberichte, Engagement Ziele und Eskalation ist es Marketing.
3.7 Impact
Hoher Anspruch, potenziell hoher Nutzen, aber nicht automatisch “besser”. Wirkungslogik und Messbarkeit müssen belastbar sein. Ansonsten bleibt Impact ein Wort, das man gut auf Broschüren drucken kann.
4. Regulierung hilft, aber sie nimmt Ihnen das Denken nicht ab
Die EU hat Leitplanken gesetzt: Nachhaltigkeitspräferenzen müssen abgefragt und berücksichtigt werden, wenn Kunden sie wünschen. Das schafft Ordnung. Es schafft aber keine automatische Qualität.
Praxisrelevant sind drei Stellhebel, über die Nachhaltigkeitspräferenzen investierbar gemacht werden:
1. Mindestanteil Taxonomie konformer Investitionen
Das ist streng, aber das Angebot ist in der Praxis häufig noch begrenzt. Wer hier hohe Quoten fordert, muss akzeptieren, dass das investierbare Universum enger wird.
2. Mindestanteil nachhaltiger Investitionen im Sinne der Offenlegungslogik
Hier zählt, wie “nachhaltige Investition” konkret definiert und nachgewiesen wird. Es gibt Interpretationsspielräume. Genau deshalb ist Dokumentenprüfung wichtig.
3. Berücksichtigung wesentlicher nachteiliger Auswirkungen
Das ist oft der pragmatischste Hebel: Sie definieren, welche negativen Effekte vermieden oder reduziert werden sollen, und prüfen, ob der Fonds dazu Regeln und Reporting hat.
Ein wichtiger Punkt für die Praxis: Artikel 8 oder Artikel 9 wird gern als hellgrün oder dunkelgrün verkauft. Beides kann sinnvoll sein. Beides kann auch enttäuschen. Entscheidend ist nicht die Schublade, sondern der Inhalt.
5. Greenwashing erkennen: Die Muster sind erstaunlich banal
Greenwashing hat meistens keine spektakulären Tricks. Es hat Routine.
5.1 ESG im Namen, Standardmarkt im Portfolio
Wenn die Top Positionen aussehen wie ein normaler Weltindex, ist das kein Skandal. Es ist nur nicht das, was viele Anleger erwarten.
5.2 Weiche Schwellen und Ausnahmen
Ausschlüsse, die erst bei extrem hohen Umsatzanteilen greifen, sind keine echten Ausschlüsse. Sie sind ein Feigenblatt.
5.3 Best in Class wird als Reinheit verkauft
Das ist intellektuell unredlich. Best in Class ist relativer Fortschritt, keine moralische Vollkommenheit.
5.4 Themenfonds werden als “sicher nachhaltig” verkauft
Themenfonds sind oft konzentriert und volatil. Wer sie als Allwetterlösung verkauft, setzt Anleger unnötig Risiken aus.
5.5 Engagement ohne Belege
Wenn ein Anbieter Engagement behauptet, aber kaum dokumentiert, wie abgestimmt wurde und welche Ziele verfolgt wurden, ist es kein Engagement. Es ist PR.
6. Konkrete Empfehlungen zu Anlageinstrumenten, ohne Produktromantik
Ich empfehle Ihnen, nachhaltig nicht als Sonderwelt zu betrachten, sondern als präzises Lastenheft. Danach wählen Sie Instrumente. Und zwar getrennt nach Zielsystem.
6.1 Basislösung für Vermeidung: ESG oder SRI ETFs als Kern
Wenn Sie breit diversifizieren wollen, sind ETFs oft der effizienteste Startpunkt.
Geeignete Instrumente
• breit gestreute ESG ETFs auf Welt, USA, Europa, Emerging Markets
• strengere SRI ETFs, wenn Sie härtere Filter wollen
• Klima Benchmarks, wenn Sie explizit Dekarbonisierungskriterien wünschen
Konkrete Auswahlkriterien
• harte Ausschlüsse für kontroverse Waffen und schwere Normverstöße
• klare Regeln zu Kohle, idealerweise mit definierten Umsatzschwellen
• transparente Indexmethodik, nachvollziehbares Rebalancing
• Blick in die Top Positionen und Sektor Gewichte, um Etikettenfallen zu vermeiden
• ein Konsistenzcheck: Name, Strategie, Portfolio müssen zusammenpassen
Mein klarer Rat
Wenn Sie Nachhaltigkeit wollen, aber keine Lust auf Storytelling, bauen Sie den Kern so. Das ist nicht spektakulär, aber robust.
6.2 Streng werteorientiert: SRI plus harte No Go Listen
Wenn Sie klare moralische Grenzen setzen, brauchen Sie konsequente Regeln.
Geeignete Instrumente
• SRI ETFs mit strengeren Ausschlüssen
• aktive Fonds mit dokumentierten Ausschlusskatalogen und sauberem Reporting
• Fonds, die negative Auswirkungen systematisch berücksichtigen und darüber berichten
Was Sie akzeptieren müssen
• höherer Tracking Error gegenüber Standardindizes
• potenziell höhere Konzentration
• mitunter höhere Kosten, weil strengere Prozesse aufwendiger sind
Wer strenge Werte will, muss Abweichung vom Mainstream wollen. Alles andere ist Selbstbetrug.
6.3 Positives fördern: Themen und Impact als Satelliten, nicht als gesamtes Fundament
Förderthemen sind sinnvoll, aber sie sind selten die stabile Mitte eines Portfolios.
Geeignete Instrumente
• Themenfonds oder ETFs für konkrete Lösungen
• aktive Impact Fonds mit klarer Wirkungslogik und Kennzahlen
• Transition Fonds, wenn Engagement und Fortschritt nachweisbar sind
Die saubere Umsetzung: Core Satellite
• Core: breit gestreuter ESG oder SRI Kern
• Satelliten: ein bis drei Förderthemen in begrenzter Quote, passend zum Risiko
So bekommen Sie Wirkungskomponente, ohne dass Ihr gesamtes Portfolio vom nächsten Themenzyklus abhängig wird.
6.4 Nachhaltige Anleihen: Green Bonds und Social Bonds mit Dokumentenpflicht
Anleihen sind im Nachhaltigkeitskontext sinnvoll, aber nur mit genauer Prüfung.
Geeignete Instrumente
• Green Bond Fonds und ETFs, wenn Mittelverwendung und Reporting solide sind
• Social Bonds, wenn soziale Ziele explizit gewünscht sind
• Sustainability Linked Bonds nur selektiv, weil KPI Qualität stark schwankt
Wichtig: Ein grüner Bond sagt etwas über die Mittelverwendung aus, nicht automatisch über die Gesamtbilanz des Emittenten. Das ist kein Ausschlussgrund. Es ist ein Hinweis, dass Sie Reinheit und Transition nicht durcheinanderwerfen dürfen.
7. Die Checkliste, die Marketing zuverlässig entwaffnet
Wenn ein Produkt nachhaltig behauptet, muss es diese Fragen beantworten:
1. Welche Strategie ist es konkret: Ausschluss, Best in Class, Themen, Engagement, Impact, Integration
2. Welche No Go Regeln gelten, inklusive Umsatzschwellen
3. Wie werden Normverstöße und Kontroversen behandelt
4. Welche Governance Mindeststandards gelten
5. Wie wird nachhaltige Investition definiert und überprüft
6. Gibt es Angaben zur Taxonomie Orientierung und Datenbasis
7. Welche negativen Auswirkungen werden berücksichtigt und wie gemessen
8. Wie sieht das Reporting aus, regelmäßig, nachvollziehbar, konsistent
9. Stimmen Fondsname, Strategie und tatsächliche Positionen überein
10. Wie konzentriert ist das Portfolio: Titelanzahl, Top Positionen, Sektor und Länder
11. Wie hoch ist der Tracking Error und ist er gewollt
12. Welche Kosten fallen an und sind sie angemessen
13. Wie wird abgestimmt, welche Engagement Ziele gibt es
14. Welche Risiken entstehen aus Themenfokus, Politik, Bewertungen
15. Passt das Produkt zu Ihrer Logik: vermeiden, fördern oder Transition
Wenn Anbieter darauf ausweichen oder nur mit schönen Worten antworten, haben Sie Ihre Antwort bereits.
8. Drei Portfoliologiken, die in der Praxis funktionieren
8.1 Grün und pragmatisch
Ziel: solide Mindeststandards, breite Diversifikation
• ESG Kern weltweit
• Anleihenanteil mit nachhaltiger Ausrichtung
• kleiner Förder Satellit
8.2 Streng und werteorientiert
Ziel: harte Grenzen, konsequente Umsetzung
• SRI Kern weltweit
• defensive Bausteine mit klaren Regeln zu negativen Auswirkungen
• Satelliten nur, wenn sie die No Go Logik nicht unterlaufen
8.3 Förderung und Wirkung im Fokus
Ziel: Beitrag zu Lösungen, ohne Portfoliotechnik zu opfern
• stabilisierender Kern als ESG oder SRI
• mehrere Förder Satelliten, bewusst begrenzt
• Anleihenbausteine mit klarer Projektlogik und Reporting
Schlussgedanke: Nachhaltigkeit ist kein Label, sondern ein Vertrag mit sich selbst
Wenn Sie nachhaltig investieren wollen, müssen Sie sich entscheiden, welche Art von Nachhaltigkeit Sie meinen. Alles andere ist ein Eintrittsticket in die Welt der Etiketten. Der Markt liefert Ihnen dann zuverlässig “grüne” Wörter, aber keine grünen Regeln.
Mein Rat lautet daher: Definieren Sie zuerst Ihre Logik, dann Ihre Kriterien, dann Ihre Instrumente. Und prüfen Sie regelmäßig, ob das, was im Verkaufsprospekt behauptet wird, auch im Portfolio passiert. Nachhaltigkeit ohne Kontrolle ist Gefühl. Nachhaltigkeit mit Kontrolle ist Strategie.
Kurzer Hinweis
Dieser Beitrag dient der Information und ersetzt keine individuelle Beratung. Kapitalmarktanlagen sind mit Risiken verbunden. Nachhaltigkeitskennzahlen basieren teilweise auf Schätzungen, Datenlücken und Methodiken, die sich ändern können.
Über den Autor: Thomas Kliem
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