Eine besondere Versicherungsform im Bereich der Absicherung der Arbeitskraft stellt die Versicherung gegen schwere Krankheiten (auch Dread Disease Versicherung genannt) dar. Bei dieser Versicherungsform wird die Versicherungsleistung nicht bei Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit, sondern beim Eintritt vorher genau definierter Krankheiten (z. B. Krebs, Schlaganfall, Herzinfarkt u. a.) fällig. In Abgrenzung zur BU- oder EU-Versicherung wird zudem keine monatliche Rente, sondern eine einmalige Kapitalabfindung an die versicherte Person oder den Versicherungsnehmer gezahlt.
Die in diesen Verträgen definierten Krankheiten unterscheiden sich von Versicherungsgesellschaft zu Versicherungsgesellschaft. Insbesondere ist aber wichtig, die Definition genau zu lesen. Denn auch für die Versicherung gegen schwere Krankheiten gilt das, was ich immer wieder betone: Sie haben nur einen rechtssicheren Anspruch auf Leistungen, die Ihnen der Versicherer in den dem Vertrag zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen zusichert!
Das Oberlandesgericht Oldenburg hat in einem Beschluss am 10.12.2009 (Az.: 5 U 87/09) über die Klage einer Versicherungsnehmerin entschieden. Was war geschehen? Die Versicherungsnehmerin war im März 2007 an Brustkrebs erkrankt. Der Brustkrebs, an dem die Versicherungsnehmerin erkrankte, streute glücklicherweise nicht. Es handelte sich um ein Karzinom in situ.
Die Frau begehrte aufgrund der Diagnose Krebs nun die Zahlung der vereinbarten Versicherungssumme vom Versicherer, da in der Police eine Leistung für Krebserkrankungen angegebn war. Der Versicherer wies den Anspruch der Kundin zurück, weil Carcinoma in situ nicht zu den versicherten Krankheiten zählen würden. Daraufhin klagte die Frau.
Das Gericht hatte sich nun damit zu beschäftigen, ob es sich dabei um eine für die Kundin „überraschende Klausel“ oder gar um eine Täuschung der Kundin handle.
Das Gericht kam, wie bereits die Vorinstanz (Landgericht Aurich), zu dem Ergebnis, dass der Ausschluss bestimmter Krankheiten mit genauer Definition der jeweiligen Krankheit die Grundlage für eine sinnvolle Ausgestaltung des Versicherungsschutzes sei. Zum Vortrag der Kundin bezüglich der überraschenden Klausel bzw. der Täuschung durch den Versicherer führte das Gericht aus, dass die Versicherungsbedingungen so auszulegen sein, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsspezifische Fachkenntnisse bei aufmerksamer Durchsicht und Erkennen des Zusammenhanges verstehen müsse. Den medizinischen Fachbegriff Carcinoma in situ hätte die Frau selbst durch oberflächliche Recherche verstehen können.
Die Klage wurde als unbegründet abgewiesen.
Achten Sie also bitte im eigenen Interesse immer ganz genau auf die Leistungsaussagen und Klauseln in den Versicherungsbedingungen. Lassen Sie sich Ihnen unklare Formulierungen erklären oder recherchieren Sie diese selber. Sie ersparen sich im Versicherungsfall sehr viel Ärger.
Das Urteil im Volltext finden Sie nachfolgend.
Gericht: OLG Oldenburg, 05. Zivilsenat
Typ, AZ: Beschluss, 5 U 87/09
Datum: 10.12.2009
Sachgebiet: Kein Sachgebiet eingetragen
Normen: BGB § 305c Abs 1, BGB § 305c Abs 2
Leitsatz: Wird bei einer für den Fall einer Krebserkrankung geschlossenen ´Versicherung bei schweren Krankheiten´ in den AVB eine Versicherungsleistung für Carcinoma in situ ausgeschlossen, so ist diese Regelung weder überraschend noch unklar.
Volltext:
Oberlandesgericht Oldenburg
5 U 87/09
2 O 943/07 Landgericht Aurich
Beschluss
In dem Rechtsstreit
M… C…, …,
Klägerin und Berufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwältin …
gegen
C… V…, …,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwältin …
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht …, den Richter am Oberlandesgericht
… und den Richter am Landgericht …
am 10. Dezember 2009
einstimmig beschlossen:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 20.05.2009 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Aurich wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 19.800 € festgesetzt.
G r ü n d e
I.
Die Parteien schlossen im Dezember 2003 einen Vertrag über eine ´Versicherung bei schweren Krankheiten´, wonach u.a. im Falle eines diagnostizierten Krebsleidens eine Einmalzahlung von 19.800 € erfolgen sollte. Im Versicherungsantrag wurde auf die Geltung der ´AVB Schwere Krankheiten VVA´ verwiesen, im Versicherungsschein auf § 2 Ziffer 1 dieser AVB, welcher folgenden Wortlaut hat:
Krebs
Vorliegen eines histologisch nachgewiesenen malignen Tumors, der charakterisiert ist durch eigenständiges Wachstum, infiltrative Wachstumstendenz und Metastasierungstendenz. Unter den
Begriff Krebs fallen auch die Tumorformen des Blutes, der blutbildenden Organe und des Lymphsystems. Ausgeschlossen sind alle Hautkrebserkrankungen, außer malignen Melanomen. Ausge
schlossen sind weiterhin Carcinomainsitu und Tumore bei gleichzeitig bestehender HIVInfektion.
Im März 2007 wurde in der linken Brust der Klägerin ein duktales Carcinoma in situ entdeckt und operativ entfernt. Es folgte eine antihormonelle Therapie und eine Strahlentherapie.
Das Landgericht hat die auf Leistung der Einmalzahlung von 19.800 € gerichtete Klage abgewiesen, weil die Klägerin das Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Ziffer 1 AVB nicht bewiesen habe. Aus den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. T… ergebe sich vielmehr, dass es sich
bei dem bei der Klägerin vorliegenden Carcinoma in situ zwar um einen histologisch nachgewiesenen malignen Tumor mit eigenständigem Wachstum handele. Es fehle aber an der weiter vorausgesetzten Metastasierungstendenz, weil die Basalmembran noch nicht durchbrochen gewesen sei. Zwar bestehe auch bei scheinbar intakter Basalmembran ein sehr seltenes Risiko, dass es durch eine nicht nachweisbare Mikroinvasion zu einer Metastasierung komme. Hierfür hätten sich nach Auswertung der ScreeningAufnahmen und des histologischen Befundes bei der Klägerin aber keine Anhaltspunkte gefunden. Die von der Klägerin gegen die Wirksamkeit des Ausschlusses vorgebrachten Bedenken griffen nicht durch.
Mit ihrer Berufung vertieft die Klägerin ihre Auffassung, § 2 Ziffer 1 AVB verstoße gegen § 305 c Abs. 1 BGB. Die Beschränkung der unter den Begriff ´Krebs´ fallenden Erkrankungen auf Tumore mit Metastasierungstendenz sei überraschend. Darüber hinaus sei § 2 Ziffer 1 Satz 4 unklar, denn die Klausel lasse zum einen die Auslegung zu, dass Carcinoma in situ generell ausgeschlossen seien. Zum anderen könne sie jedoch auch dahin verstanden werden, dass Carcinoma in situ nur bei gleichzeitig bestehender HIVInfektion ausgeschlossen seien. Mithin sei gemäß § 305c Abs. 2 BGB von letzterer Auslegung als der für sie günstigeren auszugehen.
II.
Die Berufung ist zulässig aber unbegründet. Der Klägerin stehen keine Ansprüche auf eine Versicherungsleistung zu.
1. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist für eine Anwendung von § 305 c Abs. 2 BGB, wonach Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders gehen, kein Raum. Voraussetzung hierfür wäre, dass nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmethoden Zweifel bleiben und mindestens zwei Auslegungen rechtlich vertretbar sind (BGHZ 112, 65. NJW 07, 504). Hieran fehlt es.
Nach der Rechtsprechung des BGH (BGHZ 123, 83 und ständig) sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. Grundsätzlich ist auf den allgemeinen Sprachgebrauch abzustellen, bei Fachbegriffen außerhalb des allgemeinen Sprachgebrauchs, z.B. aus der Medizin, jedoch davon abweichend regelmäßig auf die fachwissenschaftliche Bedeutung (Palandt/Grüneberg, BGB, 69. Aufl., § 305c Rn. 16).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe liegt keine objektive Mehrdeutigkeit vor.
Bei verständiger Würdigung wird der Versicherungsnehmer zunächst erkennen, dass nach der in Satz 1 der Klausel enthaltenen Definition nicht alle malignen Tumore vom Begriff ´Krebs´ erfasst werden, sondern nur solche, die eine Metastasierungstendenz aufweisen, also die auch dem medizinischen Laien als besonders gefährlich geläufige Tendenz, aus dem Verband auszuwandern und sich in fremden Geweben, wie Knochen, Lunge oder Gehirn, anzusiedeln. Satz 2 stellt klar, dass auch die Tumorformen des Blutes, der blutbildenden Organe und des Lymphsystems unter den Begriff ´Krebs´ fallen. Sodann folgen in den Sätzen 3 und 4 die Ausschlüsse. Nach Satz 3 sind alle Hautkrebserkrankungen außer malignen Melanomen ausgeschlossen. Nach Satz 4 sind ausgeschlossen ´weiterhin Carcinomainsitu und Tumore bei gleichzeitig bestehender HIVInfektion´. Informiert sich der Versicherungsnehmer darüber, was sich hinter dem medizinischen Begriff Carcinomainsitu verbirgt, so wird er selbst bei oberflächlicher Recherche schnell zu der Erkenntnis kommen, dass es sich dabei um das Frühstadium eines Tumors ohne invasives Wachstum und ohne Metastasierungstendenz handelt, mithin um eine Tumorform, die nicht unter den Begriff ´Krebs´ im Sinne von Satz 1 fällt.
Die von der Klägerin für denkbar gehaltene Auslegung, bei Nichtbestehen einer HIVInfektion reiche ein Carcinoma in situ zum Nachweis einer schweren Krankheit aus, kommt bei verständiger Würdigung nicht ernsthaft in Betracht. Rein grammatikalisch betrachtet ist es zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sich der Passus ´bei gleichzeitig bestehender HIVInfektion´ auf beide vorangehenden durch ein ´und´ verknüpften Substantive beziehen. Bei der gebotenen objektiven Betrachtung ergibt sich aber aus dem Sinnzusammenhang zwanglos, dass sich der in Satz 4 enthaltene Ausschluss des Versicherungsschutzes ´bei gleichzeitig bestehender HIVInfektion´ nur auf in Satz 1 generell eingeschlossene Tumore bezieht, was bei Carcinomainsitu nicht der Fall ist. Deren Erwähnung in Satz 4 dient erkennbar nur der Klarstellung, um Auseinandersetzungen in diesen zahlenmäßig nicht unbedeutenden Fällen zu vermeiden.
2) Ohne Erfolg rügt die Klägerin auch, dass die beanstandete Klausel überraschend und damit nach § 305 c Abs. 1 BGB unwirksam sei. Überraschenden Charakter im Sinne dieser Vorschrift hat eine Bestimmung in Allgemeinen Versicherungsbedingungen dann, wenn sie von den Erwartungen des Versicherungsnehmers deutlich abweicht und dieser mit ihr den Umständen nach vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht, der Klausel mithin ein Überrumpelungseffekt innewohnt (BGH NJWRR 2004, 780, 781. 1397, 1398), was sich regelmäßig unter Anlegung eines generellen Maßstabs nach der Erkenntnismöglichkeit des typischerweise zu erwartenden Durchschnittskunden richtet (BGH, NJW 1995, 2637, 2638).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Die Klägerin durfte nach Lage der Dinge bei Vertragsabschluss nicht darauf vertrauen, gegen Erkrankungen jeglicher Art versichert zu sein, die in der Laiensprache als ´Krebs´ bezeichnet werden. Sie kann sich deshalb nicht erfolgreich darauf berufen, sie habe nicht damit rechnen müssen, dass das Kleingedruckte ihre Erkrankung mangels Metastasierungstendenz vom Versicherungsschutz ausschließt.
Wie bereits das Landgericht zu Recht ausgeführt hat, können Verträge der streitgegenständlichen Art über den Ein oder Ausschluss bestimmter Krankheiten ohne die genaue Definition der jeweiligen Krankheiten überhaupt nicht sinnvoll ausgestaltet werden. Insbesondere kann für die Bestimmung des konkreten Versicherungsumfangs nicht etwa auf den allgemeinen Sprachgebrauch abgestellt werden, sondern zur sachgerechten Beurteilung ist es erforderlich, auf die jeweils maßgebliche Definition im medizinischen Sinn zurückzugreifen. Dies muss umso mehr gelten, als der medizinische Laie regelmäßig nur recht vage Vorstellungen über die jeweilig betroffenen Krankheitsbilder haben dürfte. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird daher von vornherein damit rechnen, dass sich in den AVB zunächst als primäre Leistungsbegrenzung die Definitionen der Krankheiten finden, für die das Leistungsversprechen des Versicherers grundsätzlich gelten soll. Ebenso wird er damit rechnen, dass sich als sekundäre Risikobegrenzung Ausschlüsse für bestimmte Konstellationen finden, wie es auch hier der Fall ist. Auf die Geltung der AVB ´Schwere Krankheiten VVA´, die die Klägerin vor Antragstellung erhalten hat, ist bereits im Antragsformular hingewiesen worden. Im Versicherungsschein wird für die Krankheit ´Krebs´ ausdrücklich auf § 2 Ziffer 1 AVB hingewiesen. Die AVB sind übersichtlich aufgebaut. Bereits in § 2 finden sich unübersehbar die Definitionen der vom Versicherungsschutz erfassten Krankheiten. Von einer überraschenden Klausel kann nach alledem keine Rede sein. Anhaltspunkte dafür, dass hier etwa der Gang der Vertragsverhandlungen eine andere Erwartungshaltung gerechtfertigt hätte, sind nicht vorgetragen.
III.
Da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil erfordert, war gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Über den Autor: Thomas Kliem
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