Die Zahl der Menschen, die in Deutschland auf Pflege angewiesen sind, wächst rasant und deutlich schneller, als es allein durch die Alterung der Gesellschaft zu erwarten wäre. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Pflegebedürftigen von rund drei auf deutlich über fünf Millionen gestiegen. Der Anteil an der Gesamtbevölkerung hat sich damit ungefähr verdoppelt.
Ein wichtiger Grund dafür ist die Pflegereform des Jahres 2017 mit der Einführung der Pflegegrade und des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Sie sollte mehr Menschen, insbesondere mit Demenz und anderen kognitiven Einschränkungen, früher und umfassender unterstützen. Das ist sozialpolitisch sinnvoll, führt aber auch dazu, dass immer mehr Menschen Leistungen aus der Pflegeversicherung über eine längere Zeit in Anspruch nehmen. Gleichzeitig steigen die Kosten der stationären Pflege Jahr für Jahr.
Wer seine eigene Pflege nur über die gesetzliche oder private Pflegepflichtversicherung abgesichert sieht, verlässt sich deshalb auf ein System, das bewusst als Teilkasko konstruiert ist. Die Eigenanteile der Pflegebedürftigen steigen und damit das Risiko, dass die eigene Rente nicht ausreicht.
Was leistet die Pflegepflichtversicherung und was nicht?
Die gesetzliche Pflegeversicherung (für gesetzlich Krankenversicherte) und die private Pflegepflichtversicherung (für privat Krankenversicherte) sollen das finanzielle Risiko der Pflege abmildern. Sie übernehmen jedoch nur einen Teil der Kosten. Die Leistungen sind je nach Pflegegrad gedeckelt und orientieren sich an gesetzlich festgelegten Höchstbeträgen.
In der vollstationären Pflege zahlt die Pflegekasse je nach Pflegegrad einen festen monatlichen Betrag. In den niedrigeren Pflegegraden liegt dieser Betrag im Bereich einiger hundert Euro, in den höchsten Pflegegraden im Bereich von etwas über zweitausend Euro. Die tatsächlichen Gesamtkosten eines Pflegeheimplatzes fallen aber deutlich höher aus.
Die Gesamtkosten eines Heimplatzes bestehen typischerweise aus:
- pflegebedingten Kosten
- Kosten für Unterkunft und Verpflegung
- Investitionskosten des Pflegeheims (zum Beispiel Gebäude, Ausstattung)
Die Pflegepflichtversicherung beteiligt sich nur an den pflegebedingten Kosten und auch dort nur bis zu einem festen Betrag. Alles, was darüber hinausgeht, plus Unterkunft, Verpflegung und Investitionskosten, muss die pflegebedürftige Person selbst zahlen. Diese Summe nennt man den Eigenanteil.
Nach aktuellen Auswertungen liegt der durchschnittliche Eigenanteil in deutschen Pflegeheimen bei rund 3.500 Euro im Monat. In manchen Bundesländern ist er deutlich höher. Über den
AOK Pflegenavigator
kann man für die eigene Region konkret nachschauen, welche Eigenanteile in den einzelnen Heimen anfallen.
Was passiert, wenn die Rente für den Eigenanteil nicht reicht?
Ein einfaches Rechenbeispiel macht die Dimension deutlich:
- Eigenanteil im Pflegeheim: 3.500 Euro pro Monat
- Netto Altersrente: 1.800 Euro pro Monat
Es bleibt eine Lücke von 1.700 Euro pro Monat. Diese Summe muss aus anderen Quellen aufgefangen werden, zum Beispiel durch:
- weitere laufende Einnahmen (betriebliche Altersversorgung, private Renten, Mieten)
- bestehendes Vermögen (Sparguthaben, Wertpapiere, Lebensversicherungen)
- eventuell Unterstützung durch Angehörige
Reichen Einkommen und Vermögen nicht aus, springt der Sozialhilfeträger mit der sogenannten Hilfe zur Pflege ein. Dann prüft das Sozialamt die finanzielle Situation sehr genau. Es wird geschaut, welches Vermögen eingesetzt werden kann und ob unterhaltspflichtige Kinder vorhanden sind, die sich beteiligen müssen.
Die möglichen Folgen sind unter anderem:
- Ersparnisse, die eigentlich für ein selbstbestimmtes Leben im Alter gedacht waren, werden im Pflegefall in wenigen Jahren aufgezehrt.
- Die Wahlfreiheit bei der Pflegeeinrichtung kann eingeschränkt werden, weil der Sozialhilfeträger eher auf günstigere Heime drängt.
- Gut verdienende Kinder können je nach Einkommenslage zur Mitfinanzierung herangezogen werden.
Wer diese Situation vermeiden möchte, sollte die Finanzierung des möglichen Eigenanteils frühzeitig in seine Altersvorsorgeplanung einbeziehen. Genau hier setzt die private Pflegetagegeldversicherung an.
Wie funktioniert eine Pflegetagegeldversicherung?
Eine Pflegetagegeldversicherung ist eine private Zusatzversicherung, die im Pflegefall einen vorher vereinbarten Geldbetrag pro Tag auszahlt. Aus diesem Tagessatz ergibt sich ein monatlicher Betrag, den Sie frei verwenden können, ganz gleich ob die Pflege zu Hause oder in einem Heim erfolgt.
Die wichtigsten Grundprinzipien:
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Leistungsauslöser ist der Pflegegrad
Sobald ein Pflegegrad festgestellt ist, zahlt der Versicherer das vereinbarte Pflegetagegeld. Häufig ist die Leistung nach Pflegegrad gestaffelt. Ein Beispiel:- Pflegegrad 1: 20 Prozent des vereinbarten Tagessatzes
- Pflegegrad 2: 40 Prozent
- Pflegegrad 3: 60 Prozent
- Pflegegrad 4: 80 Prozent
- Pflegegrad 5: 100 Prozent
Moderne Tarife leisten oft bereits ab Pflegegrad 1, ältere Tarife teilweise erst ab Pflegegrad 2.
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Freie Verwendung des Geldes
Das Pflegetagegeld ist keine Kostenerstattung. Sie müssen keine Rechnungen einreichen. Sie können die Auszahlung nutzen für:- den Eigenanteil im Pflegeheim
- zusätzliche Betreuungspersonen oder Haushaltshilfen
- Umbauten in Wohnung oder Haus
- Fahrten der Angehörigen und sonstige Zusatzleistungen, die Lebensqualität sichern
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Lebenslanger Schutz
Seriöse Pflegetagegeldtarife leisten, solange Pflegebedürftigkeit besteht, also grundsätzlich lebenslang. Die Beiträge werden in der Regel so lange gezahlt, bis ein bestimmter Pflegegrad erreicht ist. Viele Tarife sehen ab Beginn der Leistung eine Beitragsbefreiung vor. -
Beitragshöhe hängt von Eintrittsalter und Gesundheit ab
Je früher der Abschluss erfolgt, desto günstiger ist der Beitrag. Vorerkrankungen können zu Zuschlägen oder Leistungsausschlüssen führen. Eine Gesundheitsprüfung ist daher üblich.
In welcher Höhe sollte man sich absichern?
Die passende Höhe der Pflegetagegeldversicherung ergibt sich aus einer einfachen Lückenrechnung.
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Ermittlung des voraussichtlichen Eigenanteils
Nutzen Sie zum Beispiel den AOK Pflegenavigator oder andere Pflegekostenrechner, um für Ihre Region typische Eigenanteile zu ermitteln. Ein durchschnittlicher Wert von rund 3.500 Euro pro Monat ist ein realistischer Orientierungswert. -
Abzug der sicheren Einkünfte im Alter
Dazu zählen insbesondere:- gesetzliche Altersrente
- betriebliche Altersversorgung
- private Rentenversicherungen
- Mieteinnahmen und andere regelmäßige Zahlungen
Beispiel:
- Eigenanteil Pflegeheim (heutiger Wert): 3.500 Euro pro Monat
- gesamte sichere Nettorenten: 2.000 Euro pro Monat
- Deckungslücke: 1.500 Euro pro Monat
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Übertragung der Lücke auf ein Pflegetagegeld
1.500 Euro pro Monat entsprechen bei einer einfachen Rechnung etwa 50 Euro Pflegetagegeld pro Tag (1.500 geteilt durch 30 Tage). Wer etwas Sicherheitsreserve einbauen möchte, kann mit 60 oder 70 Euro pro Tag in den höheren Pflegegraden kalkulieren. -
Staffelung nach Pflegegrad
In der Praxis bietet es sich an, die höchsten Tagessätze für die Pflegegrade 4 und 5 zu vereinbaren, weil hier stationäre Pflege am häufigsten wird. In niedrigeren Pflegegraden genügt oft ein geringerer Tagessatz, der ambulante Unterstützung und Entlastung der Angehörigen finanziert.
Eine grobe Orientierung:
- Alleinstehende mit durchschnittlicher gesetzlicher Rente sollten in den höheren Pflegegraden häufig mindestens 50 bis 80 Euro Pflegetagegeld pro Tag anpeilen.
- Ehepaare mit zwei Renten können gegebenenfalls etwas niedriger ansetzen, wenn es in erster Linie um die Absicherung des Eigenanteils geht. Soll der Partner zugleich finanziell deutlich entlastet werden, ist ein höherer Tagessatz sinnvoll.
Die konkrete Absicherungshöhe sollte immer zur individuellen Einkommens und Vermögenssituation passen. Eine individuelle Beratung ist daher empfehlenswert.
Worauf sollte man bei der Auswahl einer Pflegetagegeldversicherung achten?
Beim Abschluss einer Pflegetagegeldversicherung lohnt sich ein genauer Blick in die Bedingungen. Wichtige Kriterien sind unter anderem:
- Leistung ab Pflegegrad 1
Moderne Tarife leisten bereits bei leichter Pflegebedürftigkeit. Ältere oder einfachere Tarife setzen häufig erst ab Pflegegrad 2 ein. - Sinnvolle Staffelung der Leistungen
Die Tagessätze sollten so gestaffelt sein, dass in den höheren Pflegegraden genügend Geld zur Verfügung steht, um den Eigenanteil wirklich zu entlasten. - Dynamik gegen Inflation
Da Pflegekosten langfristig steigen, ist eine Beitrags und Leistungsdynamik (regelmäßige Erhöhungen der versicherten Sätze) wichtig, um die Kaufkraft der Leistung zu erhalten. - Beitragsfreiheit im Leistungsfall
Gute Tarife sehen vor, dass im Pflegefall keine Beiträge mehr gezahlt werden müssen. - Wartezeiten und Ausschlüsse
Manche Tarife enthalten Wartezeiten oder schließen bestimmte Vorerkrankungen aus. Diese Punkte sollten vor Abschluss genau geprüft werden. - Geltung im Ausland
Wer plant, den Ruhestand teilweise im Ausland zu verbringen, sollte darauf achten, dass der Versicherungsschutz auch dort gilt. - Kombination mit anderen Lösungen
Neben Pflegetagegeldtarifen gibt es Pflegerenten oder Pflegekostentarife. Pflegetagegeld ist in der Regel am flexibelsten, weil die Leistung frei verwendbar ist.
Warum eine Pflegetagegeldversicherung heute zur Altersvorsorge gehört
Die Entwicklung ist klar: Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt, die Leistungen der Pflegepflichtversicherung decken nur einen Teil der tatsächlichen Kosten, und die Eigenanteile in der stationären Pflege bewegen sich bereits heute häufig im Bereich von 3.500 Euro pro Monat.
Ohne zusätzliche Absicherung bedeutet das für viele Menschen:
- Die eigene Rente reicht nicht aus, um den Pflegeheim Eigenanteil dauerhaft zu finanzieren.
- Ersparnisse werden im Pflegefall deutlich schneller aufgezehrt als gedacht.
- Im Zweifel müssen Sozialhilfe und möglicherweise gut verdienende Kinder einspringen.
Eine gut durchdachte Pflegetagegeldversicherung kann diese Lücke gezielt schließen. Sie sorgt dafür, dass im Pflegefall ausreichend Geld zur Verfügung steht, um den Eigenanteil zu bezahlen, ohne das gesamte Vermögen anzugreifen oder Angehörige zu überfordern.
Wer seine Altersvorsorge ernst nimmt, sollte die Frage der Pflegefinanzierung daher nicht als Randthema betrachten, sondern als festen Baustein der eigenen Strategie. Die entscheidende Frage lautet nicht, ob man irgendwann pflegebedürftig wird, sondern ob man es sich leisten kann, im Pflegefall selbstbestimmt zu leben. Eine Pflegetagegeldversicherung ist ein zentrales Instrument, um auf diese Frage eine überzeugende Antwort zu haben.
Über den Autor: Thomas Kliem
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