13 Jahre, nachdem 1995 die gesetzliche Pflegeversicherung eingeführt wurde, befand der Gesetzgeber, dass eine Überarbeitung bzw. Erweiterung des SGB XI notwendig sei. Am 01.07.2008 ist daher das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz in Kraft getreten.

Welche Punkte wurden damals verabschiedet und wie wurden sie umgesetzt?

Quelle: Bundesministerium für Gesundheit, Pressemitteilung, 16. Legislaturperiode, 30. Juni 2009

Sachleistungsbeträge und Pflegegeld sind ab Juli 2008 erhöht worden. Besonders erfreulich ist, dass vor allem Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz – also insbesondere demenzkranke Menschen – von den Neuerungen der Pflegereform profitieren. Für sie steht jetzt monatlich ein zusätzlicher Leistungsbetrag von bis zu 200 Euro (in häuslicher Betreuung) zur Verfügung. Diese Leistungen erhalten erstmals auch Personen der so genannten Pflegestufe 0. Inzwischen nehmen rund ein Drittel mehr Menschen diese Leistung in Anspruch als vor der Reform.“

 

Erstmals seit der Einführung der Pflegeversicherung 1995 erhöhten sich damit die Beträge für Sachleistungen sowie das Pflegegeld. Die Erhöhung erfolgte in den Jahresabständen 2008 und noch einmal 2010 und 2012, doch auch weiterhin gilt: die gesetzliche Pflegeversicherung ist keine Vollabsicherung und kann nur einen Teil der Pflegekosten abdecken. Die minimale Anhebung der Sätze war daher überfällig. 13 Jahre lang blieben Inflationsrate, steigende Löhne und erhöhte Lebenshaltungskosten in den Berechnungen unberücksichtigt.

 

Ebenfalls neu ist, dass nun auch Demenzkranke ohne körperliche Gebrechen die Möglichkeit haben, gemäß eines Fragenkatalogs eine „eingeschränkte Alltagskompetenz“ bescheinigt zu bekommen. Auch wenn die Unterstützung lediglich 100 bis 200 Euro im Monat beträgt, ist dies ein wichtiger Schritt, um das Thema „Demenz“ auf die Agenda zu setzen und in den Fokus zu rücken. Daneben gilt natürlich weiterhin, dass jeder Demenzkranke – je nach Einzelfall – eine Pflegestufe erhalten kann.

 

„Ein zentrales Anliegen der Pflegereform ist eine bessere Vernetzung und Verzahnung von wohnortnahen Leistungsangeboten und deren Ausrichtung auf die individuelle Bedarfslage. Es geht darum, den oft überforderten Betroffenen und ihren Familien zu helfen, sich in der für sie neuen und zum Teil – etwa nach einem Krankenhausaufenthalt – unvermittelt auftretenden Pflegesituation besser zurecht zu finden.

Die Pflegereform sieht hierzu vor allem die Schaffung von Pflegestützpunkten vor, die als Anlaufstellen vor Ort Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen Hilfestellungen geben sollen. Auch besteht seit 1. Januar 2009 ein Anspruch auf eine individuelle Pflegeberatung, der auf das Fallmanagement ausgerichtet ist. Auf Wunsch des Pflegebedürftigen muss die Pflegeberatung zuhause stattfinden.

Inzwischen haben fast alle Bundesländer die Initiative ergriffen und entweder bereits Pflegestützpunkte errichtet oder sie planen, diese einzurichten. Nach aktuellem Stand sind bereits über 500 Pflegestützpunkte eingerichtet oder in Planung. Die Zahl sollte sich noch deutlich erhöhen, zumal die Pflegekassen für bis zu 1200 Stützpunkte die Anschubfinanzierung übernehmen.“

 

Leider ist das Wissen in der Bevölkerung über die Leistungen und Lücken der gesetzlichen Pflegeversicherung nach wie vor sehr gering.

 

Die Pflegestützpunkte bieten Unterstützungen bei Anträgen auf eine Pflegestufe, auf Grundsicherung im Alter und bei der Beantragung eines Schwerbehindertenausweises. Informationen zum Thema Demenz, Wohnen im Alter, Heimberatung, Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten, Betreuungsverfügungen gibt es auch. Man erhält außerdem Beratung zur häuslichen Versorgung im Pflegefall, z.B. bei der Wahl einer Sozialstation/eines Pflegedienstes, einer Tagespflege-Einrichtung, einer Kurzzeitpflegestation, zu Hilfsmitteln, bei Wohnraumanpassungen, Essen auf Rädern und haushaltsnahe Dienstleistungen. Für pflegende Angehörige gibt es die Möglichkeit, sich bei einer psychosozialen Beratung einmal auszusprechen.

 

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Pflegestützpunkte Beratung und Auskunft in sämtlichen pflegerischen Belangen bieten und Versorgungs- und Unterstützungsangebote regional koordinieren.

 

„Betreuungskräfte

Mit der Reform wurde ein Anspruch auf zusätzliche Betreuungskräfte im Heim geschaffen, die vollständig von der Pflegeversicherung finanziert werden. Sie sollen helfen, die von demenziellen Erkrankungen betroffenen Heimbewohner bei ihren alltäglichen Aktivitäten zu unterstützen und die Lebensqualität der Menschen mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen zu erhöhen.

Nach anfänglicher Zurückhaltung wird hiervon mehr und mehr Gebrauch gemacht. Etwa 10.000 dieser Betreuer sind inzwischen im Einsatz auf rund 6.500 neu eingerichteten Vollzeitstellen, viele davon in Teilzeit. Und Woche für Woche kommen weitere hinzu, 1.500 Personen sind bisher von der Bundesagentur für Arbeit vermittelt worden. Es ist davon auszugehen, dass durch die Neuregelung bis zu 20.000 neue Arbeitsplätze für Betreuungskräfte geschaffen werden können.“

 

„Qualität (Bewertungssystem)

Durch eine Reihe von Maßnahmen der Pflegereform wird die Qualität der Leistungen der Pflegeheime und Pflegedienste angehoben. Ab dem 1. Juli startet die Bewertung der Pflegequalität in Deutschland nach den neuen Pflegenoten. Erste Ergebnisse werden für Ende August erwartet.

Das Bundesgesundheitsministerium hat heute die Qualitätsprüfungsrichtlinien des GKV-Spitzenverbands genehmigt. Diese Richtlinien sind eine wesentliche Voraussetzung für das neue Prüfverfahren. Die Qualitätsprüfungen finden grundsätzlich unangemeldet statt, ab dem Jahr 2011 im jährlichen Rhythmus, bis dahin müssen alle Einrichtungen einmal geprüft werden.

Die Qualitätsergebnisse der Prüfungen sollen veröffentlicht werden und anschaulich und klar erkennbar sein. Die Transparenzvereinbarungen zwischen den Trägerverbänden der ambulanten und der stationären Pflege und den Pflegekassen sind dabei ein erster wichtiger Schritt. Damit lässt sich die Pflegequalität auf einer bundesweit einheitlichen Grundlage vergleichen. Der Kriterienkatalog für die Pflegeheime beinhaltet 64 Fragen. Davon beziehen sich 35 Fragen auf die Pflege und die medizinische Versorgung, 10 Fragen auf die Bewertung des Umgangs mit demenzkranken Bewohnern, 10 Fragen auf soziale Betreuung und Alltagsgestaltung, 9 weitere betreffen die Bereiche Wohnen, Verpflegung, Hauswirtschaft und Hygiene. Insgesamt beziehen sich also über 70% der Kriterien auf Pflege und Betreuung.“

 

Der Gesetzgeber hat hier einen wichtigen Punkt verankert, der es dem Verbraucher ermöglicht, Vergleiche zwischen Pflegeheimen zu ziehen und Orientierung zu geben. Oft ist es für die Betroffenen schwierig, im Vorfeld einzuschätzen, was sie hintern den Türen eines Pflegeheims wirklich erwartet. Und ist man erst einmal eingezogen, ist ein Wechsel mit viel Aufwand und oft fraglichem Nutzen verbunden, da man ja auch ein neues Heim nicht kennt.

 

Mit den vom Gesetzgeber 2008 vorgeschriebenen Prüfkriterien liegt nun das Hauptaugenmerk verstärkt auf der Überprüfung von Qualität. Positiv ist auch, dass die Kontrollbesuche unangemeldet stattfinden.

 

Im Gegensatz zur zunehmenden Transparenz im Pflegeheimbereich erfolgte eine analoge Umsetzung bei den ambulanten Pflegediensten eher zaghaft. Allerdings ist ein Wechsel des ambulanten Pflegedienstes weitaus einfacher: In der Regel muss man lediglich eine vierwöchige Kündigungsfrist einhalten. Im schlimmsten Fall probiert man so lange aus, bis man den richtigen Pflegedienst gefunden hat.

 

„Der Pflegeberuf muss auch künftig attraktiv bleiben – wichtig dafür sind die ortsübliche Vergütung und der Mindestlohn. Die in den nächsten Jahrzehnten kontinuierlich steigende Zahl der Pflegebedürftigen erfordert einen entsprechend starken Anstieg der Zahl der professionell Pflegenden. Im Zeitraum zwischen 1999 und 2007 ist die Zahl der im Pflegebereich Beschäftigten um rd. 185.000 auf rd. 810.000 gestiegen. Die Pflege ist ein „Jobmotor“.

Ein wichtiges Anliegen der Pflegereform war es daher, dass Pflegeeinrichtungen ihren Beschäftigten eine Arbeitsvergütung zahlen, die mindestens dem ortsüblichen Lohnniveau entspricht. Seit dem 1. Juli 2008 dürfen Versorgungsverträge nur noch mit den Pflegeeinrichtungen abgeschlossen und aufrechterhalten werden, die ihren Beschäftigten mindestens eine ortsübliche Vergütung zahlen. Mit der Aufnahme der Pflegebranche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz wurden zudem Mindestlöhne in der Pflegebranche möglich gemacht, die mit der Festlegung beauftragte Pflegekommission wird derzeit eingerichtet. Ortsübliche Vergütung und Mindestlohn können und werden einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Attraktivität der Pflegeberufe und zur Sicherung der Qualität der Pflege leisten.“

 

Was gut gemeint ist, stellt in der Realität viele Pflegeeinrichtungen vor große Probleme. 

 

Denn wenn man als Pflegedienst oder Pflegeheim Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung abrechnen möchte, muss man Rahmenverträge mit den Pflegekassenverbänden abschließen. In diesen ist unter anderem geregelt, wieviel Personal (examiniert und Aushilfskräfte) die Einrichtung sozialversicherungspflichtig vorhalten muss, egal, ob es für diese Arbeitskräfte auch Einsatzmöglichkeiten gibt.

 

Nur mit einer ausreichend sicheren Auftragslage kann der Pflegedienst/das Pflegeheim das geforderte Personal auch vorhalten und einsetzen, ohne Verluste zu machen. Schnell kann ein kleiner Anbieter an seine Grenzen stoßen. Dies soll keineswegs ein Plädoyer für Hungerlöhne sein. Doch gilt es zu bedenken, dass viele kleine und mittlere private Pflegedienste ihr Gewerbe aufgeben müssen, weil sie die Mindestlöhne nicht zahlen und die Mindestvorhaltung nicht nachweisen können sowie keine geeigneten Fachkräfte finden. Ganz zu schweigen davon, dass sie dieses Personal auch gar nicht einsetzen könnten.

 

Hinzu kommt, dass immer weniger Pflegefachkräfte bereit sind, im ambulanten Bereich zu arbeiten, da diese Tätigkeit häufig über die reine Behandlungspflege wie Verbandswechsel oder Spritzen geben hinausgeht. Hauswirtschaftliche Versorgung, Unterstützung bei der Körperpflege sowie die ständigen Fahrten zwischen den Patienten sind für viele Arbeitnehmer unattraktiv. Sie ziehen eine Tätigkeit im Pflegeheim oder Krankenhaus, wo nach Tarif entlohnt wird, der mühsamen Arbeit im ambulanten Bereich vor.

 

Für ambulante Pflegedienste, die auch noch andere Kosten haben, ist dies oft nicht mehr lukrativ.

 

„Pflegebedürftigkeitsbegriff

Der Beirat zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs hat im Mai diesen Jahres seinen abschließenden Bericht zur Umsetzung eines neuen Begriffs vorgelegt. Das neue Begutachtungsverfahren und der neue Begriff stellen die Selbständigkeit des Menschen in den Vordergrund. Das ist ein Paradigmenwechsel weg von der viel kritisierten „Minutenpflege“ hin zu mehr ganzheitlicher Betrachtung des pflegebedürftigen Menschen. Das Anliegen „Teilhabe statt Fürsorge“ findet im neuen Begutachtungsverfahren seinen Ausdruck. Entscheidend ist künftig die verbleibende Selbständigkeit eines Menschen, die Frage, ob und wie er noch für sich sorgen und das tägliche Leben bewältigen kann. Alle Beeinträchtigungen – körperliche, geistige und seelische – werden künftig bei der Begutachtung berücksichtigt. Das Verfahren wird damit vor allem demenziell erkrankten Menschen, pflegebedürftigen Kindern und auch körperlich und geistig Behinderten besser gerecht.“

 

Diese Vorgabe des Bundesministeriums berücksichtigt, dass Menschen mit demenzieller Erkrankung eine andere Form der Einstufung benötigen als Menschen mit körperlichen Gebrechen. Dafür gibt es zusätzliche Fragenkataloge, die nicht die zeitliche Komponente – z.B. für die Körperpflege – in den Vordergrund stellen, sondern eine allgemeine „eingeschränkte Alltagskompetenz“ festhalten.

 

Allerdings wurde im gleichen Zug auch die Einstufung in die „normalen“ Pflegestufen 1 bis 3 leicht verändert: War der zeitliche Umfang bis 2008 eine individuelle Einschätzung des Prüfers, gelten nun feste Zeitkontingente für jede einzelne Verrichtung des täglichen Lebens. Dies erschwert die Einstufung in die richtige Pflegestufe, da die Individualität jedes einzelnen, seiner Erkrankungen und Einschränkungen, unberücksichtigt bleiben.