Maßnahmen des Pflege-Neuausrichtungs-Gesetzes im Überblick

Quelle: Bundesministerium für Gesundheit, Pressemitteilung, 29.06.2012

„Die ambulante Versorgung Demenzkranker wird deutlich verbessert. Im Vorgriff auf den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff bieten ambulante Pflegedienste künftig neben der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung auch gezielt Betreuungsleistungen an. Auch Pflegebedürftige, die nicht an Demenz erkrankt sind, können auf sie ausgerichtete Betreuungsleistungen als Sachleistungen in Anspruch nehmen.“

Bisher galt: Demenzkranke konnten durch ambulante Pflegedienste nur betreut werden, wenn sie auch in einer Pflegestufe eingestuft waren. Mit der Neuregelung ist nun auch eine Betreuung möglich, wenn ausschließlich Demenz vorliegt. Für diesen Fall stehen Sachleistungen zur Verfügung, die der Pflegedienst mit der Pflegekasse abrechnet.

„Zugleich wird es ab 2013 in der ambulanten Versorgung auch höhere Leistungen für Demenzkranke geben. In der Stufe 0 erhalten Demenzkranke neben den heute schon beziehbaren 100 bzw. 200 Euro für zusätzliche Betreuungsleistungen erstmals Pflegegeld oder Pflegesachleistungen. In den Pflegestufen 1 und 2 wird der bisherige Betrag aufgestockt. Menschen ohne Pflegestufe (Pflegestufe 0) erhalten monatlich ein Pflegegeld von 120 Euro oder Pflegesachleistungen von bis zu 225 Euro. Pflegebedürftige in Pflegestufe I erhalten ein um 70 Euro höheres Pflegegeld von 305 Euro oder um 215 Euro höhere Pflegesachleistungen bis zu 665 Euro. Pflegebedürftige in Pflegestufe II erhalten ein um 85 Euro höheres Pflegegeld von 525 Euro oder um 150 Euro höhere Pflegesachleistungen von bis zu 1.250 Euro.“

Ambulante Pflege

Höhere monatliche Leistungen für Demenzkranke

 

Pflegegeld

Grundbetrag

Zusatzleistungen

Pflegestufe 0

0 Euro

120 Euro

Pflegestufe 1

235 Euro

70 Euro

Pflegestufe 2

440 Euro

85 Euro

Pflegestufe 3

700 Euro

0 Euro


Pflegesachleistungen

Grundbetrag

Zusatzleistungen

Pflegestufe 0

0 Euro

225 Euro

Pflegestufe 1

450 Euro

215 Euro

Pflegestufe 2

1.100 Euro

150 Euro

Pflegestufe 3

1.550 Euro

0 Euro

Härtefälle

1.918 Euro

0 Euro

Beispiel: Wenn der Pflegebedürftige in die Pflegestufe 0 eingestuft wird, kann der Pflegedienst als Sachleistung mit der Pflegekasse im Monat 225 Euro abrechnen.

Wenn der Pflegebedürftige in die Pflegestufe 1 eingestuft ist, kann der Pflegedienst 450 Euro mit der Pflegekasse abrechnen. Wurde bei ihm noch zusätzlich Demenz festgestellt, kann der Pflegedienst zusätzlich 215 Euro abrechnen, erhält also im Monat dann nicht „nur“ 450 Euro, sondern 665 Euro (das sind 215 Euro mehr).

„Flexibilisierung der Leistungsinanspruchnahme: Pflegebedürftige und ihre Angehörigen können neben den heutigen verrichtungsbezogenen  Leistungskomplexen auch bestimmte Zeitvolumen für die Pflege wählen. Sie können dann zusammen mit den Pflegediensten entscheiden, welche Leistungen in diesem Zeitkontingent erbracht werden sollen. In einem Modellvorhaben wird geprüft, ob neben den heutigen Pflegediensten auch Betreuungsdienste vorgehalten werden können, die ihr Leistungsangebot auf Demenzkranke spezialisieren.“

Diese neue Bestimmung ist ein echter Fortschritt. Denn schließlich haben wir es im Pflegebereich mit einem Menschen und seinen individuellen Bedürfnissen zu tun, bei dem nicht jeder Tag gleich ist. Flexible Absprachen über die Pflegezeiten zwischen Betroffenen und Pflegedienst ermöglichen somit ein höheres Maß an Anpassung an die Erfordernisse vor Ort.

Wie genau die Betreuungsdienste aussehen sollen, bleibt jedoch abzuwarten. Vor ein paar Jahren noch gab es die Zivildienstleistenden, die oft im sozialen Bereich eingesetzt waren und dort viel für Entlastung sorgten. 

„Künftig wird es möglich sein auch in teilstationären Pflegeeinrichtungen der Tages- und Nachtpflege zusätzliche Betreuungskräfte einzusetzen, die vollständig von der Pflegeversicherung finanziert werden.“

Auch dies ist eine sehr gute, ergänzende Regelung, um den teilstationären Bereich zu entlasten.

„Wichtig ist die Stabilisierung und Stärkung der Situation der pflegenden Angehörigen, die mit ihrem Einsatz für eine gute Betreuung der Pflegebedürftigen sorgen und manchmal mit der Situation überfordert sind. In der Krankenversicherung wird deshalb ausdrücklich betont, dass bei anstehenden Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahmen die besonderen Belange pflegender Angehöriger berücksichtigt werden. Sie erhalten zudem leichter die Möglichkeit, eine Auszeit zu nehmen. Künftig wird das Pflegegeld zur Hälfte weitergezahlt, wenn Sie eine Kurzzeit- oder Verhinderungspflege für ihren Pflegebedürftigen in Anspruch nehmen. Zudem können auch Einrichtungen des Müttergenesungswerks oder gleichartige Einrichtungen stärker als bisher in die Versorgung pflegender Angehöriger mit Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen einbezogen werden, soweit sie dazu geeignet sind.“

Eine ausgesprochen gute Entscheidung, für die pflegenden Angehörigen etwas zu tun. Es sind schließlich sie, die durch die Pflege des Betroffenen finanziell und personell das gesamte System erheblich entlasten. Die Geldleistung aus der gesetzlichen Pflegeversicherung ist der geringste (und bei weitem nicht ausreichende) Betrag, der den Betroffenen zur Verfügung steht. Es ist daher eine gute Regelung, Erholungszeiten der Pflegenden mit 50% dieser Geldleistung zu unterstützen, sodass die Unterbringung des zu Pflegenden in einer Kurzzeitpflegeeinrichtung erleichtert wird.

„Eine rentenversicherungsrechtliche Absicherung erfordert eine Mindestpflegeaufwendung von 14 Stunden pro Woche. Zum Ausgleich von Härtefällen muss dieser Pflegeaufwand zukünftig nicht allein für einen Pflegebedürftigen getätigt werden, sondern kann auch durch die Pflege von zwei oder mehr Pflegebedürftigen erreicht werden.“

Auch dies ist eine gute Regelung für die Angehörigen-/Laienpflege.

„Für Selbsthilfegruppen in der Pflegeversicherung werden 10 Cent pro Versicherten und Jahr, also insgesamt 8 Millionen Euro jährlich, von der Pflegeversicherung, bereitgestellt. Klargestellt wird zudem, dass auch für ehrenamtliche Unterstützung als ergänzendes Engagement bei allgemeinen Pflegeleistungen in zugelassenen stationären Pflegeeinrichtungen Aufwandentschädigungen gezahlt werden können.

Um es Pflegebedürftigen zu ermöglichen, so leben zu können, wie sie das möchten, werden Wohnformen zwischen der ambulanten und stationären  Betreuung zusätzlich gefördert. Unter bestimmten Umständen gibt es für solche Wohngruppen je Pflegebedürftigen 200 Euro zusätzlich, um dem höheren Organisationsaufwand gerecht werden zu können. Darüber hinaus ist ein zeitlich befristetes Initiativprogramm zur Gründung ambulanter Wohngruppen vorgesehen mit einer Förderung von 2.500 Euro pro Person (maximal 10.000 Euro je Wohngruppe) für notwendige Umbaumaßnahmen in der gemeinsamen Wohnung. Insgesamt steht für die Förderung eine Summe von 30 Millionen Euro zur Verfügung.

Bereits heute gilt: Die Pflegekassen können subsidiär finanzielle Zuschüsse für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes des Pflegebedürftigen gewähren, beispielsweise für technische Hilfen im Haushalt. Die Zuschüsse dürfen einen Betrag in Höhe von 2.557 Euro je Maßnahme nicht übersteigen. Bisher wurde eine Maßnahme nur einmal gefördert, auch wenn sie mehreren Pflegebedürftigen zugute kam. Künftig kann der Zuschuss bis zu viermal 2.557 Euro, also bis zu 10.228 Euro, betragen, wenn mehrere Pflegebedürftige zusammen wohnen. Dies kommt vor allem ambulant betreuten Wohngruppen für Pflegebedürftige zu Gute.“

Mit diesem Punkt greift das Bundesministerium den Trend auf, dass Pflegebedürftige immer häufiger in Wohngemeinschaften bzw. Wohngruppen leben. Sei es, um die Versorgung mehrerer Betroffenen zu bündeln, sei es, um der Vereinsamung zu Hause oder im Heim entgegen zu wirken. Wer weiß, welche Formen und Möglichkeiten es in Zukunft noch geben wird. Eine Förderung dieser Wohnformen ist daher sehr zu begrüßen.

„Die Rechte der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen gegenüber Pflegekassen und Medizinischem Dienst werden gestärkt. Der Spitzenverband Bund der Pflegekassen wird verpflichtet, für die Medizinischen Dienste verbindliche Servicegrundsätze zu erlassen. Dieser „Verhaltenscodex“ soll sicherstellen, dass ein angemessener und respektvoller Umgang mit den Pflegebedürftigen Standard ist. Antragsteller sind zudem darauf hinzuweisen, dass sie einen Anspruch darauf haben, das MDK-Gutachten zugesandt zu bekommen. Sie erhalten zudem automatisch eine Auskunft, ob die Durchführung einer Rehabilitationsmaßnahme angezeigt ist. So soll dem so wichtigen Grundsatz „Rehabilitation vor Pflege“ Ausdruck verliehen werden.“

Dieser Passus darf verwundern. Denn ein Rechtsanspruch auf das vom MDK erstellte Gutachten bestand schon immer. Der Hinweis auf den Anspruch stellt demnach keinerlei Neuerung dar. Vielmehr stellt sich die Frage, warum der Betroffene nicht automatisch das Gutachten erhält. Bisher dauert es mitunter Wochen oder gar Monate, bevor man Einsicht in die Dokumente erhält.

Ähnliches gilt für die Auskunft über eine mögliche Durchführung von Reha-Maßnahmen. Schon immer hat der MDK am Ende seiner Prüfung über Maßnahmen und Hilfsmittel unterrichtet bzw. konkrete Vorschläge gemacht. Das ist in den Vorgaben des Gutachtens auch so vorgesehen.

„Zur Sicherstellung einer frühzeitigen Beratung müssen die Pflegekassen Antragstellern zukünftig einen Beratungstermin innerhalb von zwei Wochen unter Nennung eines Ansprechpartners anbieten. Die Beratung soll auf Wunsch des Versicherten in der häuslichen Umgebung oder in der Einrichtung, in der der Versicherte lebt, erfolgen. Können Pflegekassen diese Leistung zeitgerecht nicht selber erbringen, dann müssen sie ihm einen Beratungsgutschein für die Inanspruchnahme der erforderlichen Beratung durch einen anderen qualifizierten Dienstleister zur Verfügung stellen.“

Die erste Frage, die sich stellt, ist: Was soll der Inhalt der Beratung sein? Kaum vorstellbar, dass der sogenannte Ansprechpartner dem Pflegebedürftigen genaue Auskünfte über den Einstufungstermin erteilt. Problematisch auch die Übergabe an einen qualifizierten Dienstleister: Welche Anforderungen werden an diesen gestellt? Was genau bedeutet „qualifiziert“ in diesem Zusammenhang?

„Zeitnahe Entscheidungen sind für Pflegebedürftige und Antragsteller von großer Bedeutung. Wenn innerhalb von vier Wochen keine Begutachtung erfolgt, wird die Pflegekasse deshalb verpflichtet, dem Versicherten mindestens drei Gutachter zur Auswahl zu benennen, damit es auch ohne den MDK voran gehen kann. Wenn die Pflegekassen Begutachtungsentscheidungen nicht fristgerecht treffen, dann haben sie künftig dem Antragsteller für jede begonnene Woche der Fristüberschreitung 70 Euro als erste Versorgungsleistung zur Verfügung zu stellen.“

Auch in diesem Fall gilt: Nun ist es gesetzlich verankert. Doch die Regel – vereinzelte, individuelle Abweichungen gibt es immer – war schon vor der Neuregelung vier Wochen bis zur Begutachtung. Die beantragten Leistungen erhält der Pflegebedürftige auf jeden Fall rückwirkend. Warum nun auch noch 70 Euro pro Woche gezahlt werden sollen, ist nicht nachvollziehbar.

„Um die medizinische Versorgung in den Pflegeheimen zu verbessern, wird dafür gesorgt, dass mehr Vereinbarungen zwischen Heimen und Ärzten bzw. Zahnärzten geschlossen werden, die auch die Zusammenarbeit mit dem Pflegepersonal regeln. Bessere finanzielle Anreizmöglichkeiten sollen dafür sorgen, dass verstärkt Haus- bzw. Heimbesuche durch den Arzt bzw. Zahnarzt erfolgen. Die Pflegeheime haben darüber zu informieren, wie die ärztliche bzw. zahnärztliche Versorgung sowie die Versorgung mit Arzneimitteln bei ihnen organisiert ist.“

Ob diese Regelung nur für Pflegeheime gilt oder auch für ambulante Pflegedienste, ist nicht ersichtlich. Hausbesuche bei Pflegebedürftigen, die in ihren eigenen Wohnungen leben und nicht im Heim, werden praktisch nicht mehr durchgeführt. Es ist sehr schwierig, hier Ärzte oder gar Zahnärzte zu finden, die noch Hausbesuche machen.

FAZIT

Grundsätzlich sind die Anpassungen im Pflegegesetz zu begrüßen und somit Ansprüche Pflegebedürftiger gesetzlich verankert werden.

Einschränkend muss man jedoch anmerken, dass die meisten Punkte nur für einen Teil der Pflegebedürftigen relevant sind. Es bleibt abzuwarten, wie die Umsetzungen konkret aussehen und welche Kosten daraus tatsächlich resultieren.

Daher bleibt festzuhalten:

Eine zusätzliche private Absicherung, ob in der Variante Altersvorsorge oder mit einer Risikoabsicherung über einen privaten Pflegezusatztarif, ist unumgänglich, um im Pflegefall nicht zum Sozialfall zu werden.